- © Iwokrama International Centre, Georgetown, Guyana
- Abb. 1: Nasenbär
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"Das Tier, das von den Wilden Coati genannt wird, ist von der Größe eines Hasen, hat ein kurzes, glattes, geflecktes Fell, und kleine,
hochstehende, spitze Ohren. Aber der keineswegs große Kopf besitzt eine Schnauze, die von den Augen an länger als ein Fuß, rund wie ein Stab und
dann plötzlich gespalten ist! Sie ist oben kaum stärker als in der Nähe des Mäulchens (das so klein ist, daß man wohl kaum den kleinen Finger
hineinstecken könnte), und ähnelt einer Schnarrpfeife oder dem Rohr eines Dudelsacks."
So beschreibt Jean de Léry das Aussehen eines Tieres, das er im November 1557 in Fort Coligny auf der Ilha de Villegagnon, einer Insel in der
Bucht von Rio de Janeiro, gesehen hatte. Eine Delegation der Tupinamba hatte das Tierchen als Geschenk für ihre französischen Verbündeten
mitgebracht. Der Kuati, der sogleich die Aufmerksamkeit der Europäer auf sich zog, stammte wohl ebenso wie die Tupinamba aus der weiteren
Umgebung des heutigen Rio de Janeiro. Bei den augenfälligen Unterschieden zu dem heutzutage Nasenbär genannten Tier (Abb. 1), würden wir
nur zu gerne ein Bild zu dieser Beschreibung sehen. Doch obwohl er es mehrfach versuchte, konnte Jean de Léry den Porträtmaler ihrer Gruppe,
Jean Gardien, nie dazu bringen, dieses merkwürdige Tier zu zeichnen.
Jean de Léry war gerade 22 Jahre alt, als er von dem
großen Reformator Jean Calvin gemeinsam mit 13 weiteren Hugenotten 1556 zur Missionierung der Tupinamba nach Brasilien entsandt wurde. Dieser
fast am Vorabend der Religionskriege (1562 - 1598) gemeinsam mit Katholiken unternommene Versuch Frankreichs, in Brasilien Fuß zu fassen,
war durch die tolerante Haltung von Gaspard de Coligny, Admiral von Frankreich, möglich geworden. Coligny, der König Heinrich II vom Nutzen
des Handels mit den Produkten der Neuen Welt zu überzeugen wußte, wurde später einer der wichtigsten Führer der Hugenotten - und
wurde in der Bartholomäusnacht am 24. August 1572 ermordet.
Den Namen des Tieres in der Sprache der Tupinamba transkribiert Jean de Léry mit "Coati" . In heutiger
Schreibweise könnte dies "Kuatĩ" gelautet haben, eine Zusammensetzung von
kua (für Loch, Höhle, Grube, Einkerbung) und tĩ (für Nase) - übersetzt also
"Lochnase"! Mit einer Tilde (~) bezeichnet man für das Guarani, einer heute noch gesprochenen Tupi-Sprache, die nasal gesprochene Version eines
Lautes. Sie stellt ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal dar: im Unterschied etwa zu kua , bedeutet
kuã Finger oder Fingerglied. Seltsam ist allerdings, daß das Wort im heutigen Guarani nicht nasal gesprochen wird,
also coati und nicht kuatĩ lautet. Das spricht dafür, dass es zumindest durch den
Mund anderer, nicht Tupi-Guarani-Sprecher gegangen ist und dann vielleicht erst relativ spät mit der neuen Bedeutung Nasenbär ins Guarani
zurückgelangt ist. (1)
Wir verdanken Jean de Léry noch weitere Angaben zu diesem Tier. Über seine Nahrung notiert er, wohl auch gestützt auf Berichte der Tupinamba:
"Es läßt sich nicht dazu bringen etwas anderes als Ameisen zu fressen, von denen es auch in den Wäldern lebt". Von großem
Interesse ist auch eine Beobachtung über sein Verhalten: "Wird dieses Tier gefangen, so führt es die vier Beine zusammen und fällt auf die
Seite oder flach auf den Boden". Der Kuati zeigt also, wenn er einer Bedrohung nicht mehr ausweichen kann, einen Totstellreflex!
Nach dem Aussterben des Kuati gab es immer noch die Erinnerung, die Mythen, die Erzählungen und Lieder der Tupinamba, in denen die
"Lochnase" weiterlebte. Doch mit der Ausrottung dieses Volkes riß auch der kulterelle Faden, der die Menschheit mit dem Kuati verbunden hatte.
Übrig blieben zerstreute Stücke, zwei Bilder vom kaiserlichen Hof und Léry's Schilderung, die, jedes für sich, allen kulturellen Sinns beraubt waren.
Ein Grund dafür, daß die sehr konkrete, lebendige Beschreibung Léry's keine kritische Diskussion provozieren konnte, liegt wohl im Fehlen einer
bildlichen Darstellung. Es scheint doch so zu sein, daß auch für den Wissenschaftler zuerst ein unmittelbares Verstehen, oder eine spontane
Emotion vorhanden sein muß, bevor eine Analyse überhaupt in Betracht gezogen wird.
Ein weiterer französischer Reisender erwähnt in seinem Bericht über das "France Antarctique" (so die damalige Bezeichnung für den Stützpunkt
in der Bucht von Rio de Janeiro) einen "Coaty". Es ist André Thevet, Franziskaner, später Kaplan der Katharina von Medici und
Kosmograph König Charles IX., der kurz vor Jean de Léry für wenige Wochen in Fort Coligny war. Die kurze Beschreibung macht jedoch deutlich,
daß hier der Nasenbär gemeint ist.
Bei genauerem Lesen fällt allerdings auf, daß Thevet neben dem unpassenden Namen "Coaty" auch die Angabe "mit
einer Schnauze von der Länge von einem Fuß" [32,5 cm] verwendet. Dies ist für den Nasenbär unrichtig, stimmt aber auffallend mit der
Angabe Léry's "besitzt eine Schnauze, die von den Augen an länger als ein Fuß ... ist" überein. Bedenkt man weiter, wie
ungewöhnlich die Angabe der Schnauzenlänge zur Charakterisierung einer Säugetierart ist, so wird wahrscheinlich, daß Thevet in seiner Beschreibung
eine Mixtur zwischen Nasenbär und Kuati produziert hat. Dies wird umso leichter vorstellbar, wenn man weiß, daß Thevet zur Kompilation des
umfangreichen Materials Schreiber verwendete und selbst nur die Endredaktion besorgte (2).
Von diesen Vorbehalten abgesehen bleibt festzuhalten, daß André Thevet hier eine sehr frühe Beschreibung vom Nasenbär liefert. Die früheste mir
bekannte, gedruckte Abbildung findet sich bei Gessner (3), allerdings ohne jede weitere Angabe.
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- © The J. Paul Getty Trust, Los Angeles
- Abb. 2: Kuati
Vermutlich 1595 oder 1596 malte der niederländische Miniaturmaler Joris Hoefnagel dieses Tier in Wien. Er schmückte damit ein Blatt in dem
"Konstruierten Alphabet", das er ebenso wie Georg Bocskay's erstes Schriftmusterbuch, Mira calligraphiae monumenta, für Kaiser
Rudolph II. illuminierte. Der kleine Kopf mit der langen, stabförmigen Schnauze und den spitzen, hochstehenden Ohren, das gefleckte Fell - ja, das
ist ohne Zweifel der von Jean de Léry beschriebene Coati !
Joris Hoefnagel wurde vermutlich im September
1591 in Prag in den kaiserlichen Hofdienst aufgenommen. Zugleich wurde er von der Anwesenheitspflicht bei Hof entbunden, sodaß er zuerst in
Frankfurt a.M., und ab 1594 in Wien leben und arbeiten konnte. Über diese seine letzten Lebensjahre ist wenig bekannt. Natürlich mußte er,
Van Mander (4) berichtet darüber, des öfteren nach Prag reisen, um dem kaiserlichen Auftraggeber über den Fortgang seiner Arbeiten zu berichten.
Belegbar ist eine solche Reise nach Prag jedenfalls für 1597, da am 7. April im Geheimen Rat sein Gesuch um einen Freibrief behandelt wird. Dabei
geht es wohl um die Befreiung von Zoll und anderen Abgaben auf Waren der Handelsgesellschaft seines Bruders Daniel, die unter ihrer beider Namen
firmiert. Das Geschäft gehört keinesfalls in dieses höchste Beratungsgremium des Kaisers und keiner der Räte würde es gewagt haben, es dort von
sich aus vorzubringen. Dies konnte nur der Kaiser selbst veranlassen, der dem Joris Hoefnagel das Gebetene bewilligt und das Bittschreiben
angenommen hatte.
Die Auswirkung einer dieser Reisen ist in dem "Konstruierten Alphabet" bei den Kleinbuchstaben deutlich zu sehen: waren die grotesken Masken in
der Bildmitte bis zum Buchstaben "t" immer wilder geworden, so rücken ab dem Buchstaben "u" die Tierdarstellungen in den Mittelpunkt, während
die Grotesken an Bedeutung verlieren. Für diese Tierdarstellungen wird Hoefnagel wohl auch Vorlagen aus Prag mitgebracht haben.
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- © Hugo Maertens, Brugge
- Abb. 3: Kuati im Käfig
"Coati Brasilianorum. Cercopitheci Brasiliani species, magnitudine Leporis, rostrum habens pedis Longitudine." (Coati aus
Brasilien. Eine brasilianische Meerkatzenart, von der Größe eines Hasen, hat eine Schnauze von einem Fuß Länge). Diese kurze Notiz von Boëtius de
Boodt's eigener Hand ergänzt die Angaben Jean de Léry's: es handelt sich bei dem Kuati um einen Affen! Der Terminus Cercopithecus oder
Meerkatze steht im 16. Jahrhundert für eine nur vage definierte Gruppe von mittelgroßen Primaten mit Schwanz.
Anselmus Boëtius de Boodt wurde im
März 1588 als Hof-Medikus in den Hofstaat Kaiser Rudolphs II. aufgenommen, mit dem Privileg am Hof zu praktizieren - genau genommen ohne die
sonst übliche Besoldung. Zugleich wird ihm auch eine Druckerlaubniß für Kupferstiche erteilt. Nach dem Tode des Hof-Historiographen Jacobus
Typotius im Jahre 1602 übernahm er die Herausgabe des dritten und letzten Teiles der "Symbola Divina et Humana" (5), der 1603 erschien. Mit
dieser Arbeit wurde er endlich in den inneren Kreis der Gelehrten und Künstler um den Kaiser aufgenommen. Dem zu Folge wurde ihm im April 1605
der Titel eines kaiserlichen Leib-Medikus verliehen, sowie eine Besoldung (mit Wirkung vom 1. Januar 1604) zuerkannt. Seine nächste Arbeit, eine
systematische Beschreibung der Mineralien, die 1609 erschien (6), machte ihn berühmt und gilt heute als sein Hauptwerk.
Der Kuati könnte mit einem niederländischen Schiff nach Europa gebracht worden sein, und de Boodt könnte das Tier in den Niederlanden gesehen
und gezeichnet haben. Daß niederländische Schiffe nach Brasilien segelten und die Seeleute von dort in Eigeninitiative lebende Tiere mitbrachten, war
in der zweiten Hälfte des 16. Jahunderts nicht mehr ungewöhnlich. Wie etwa Gessner (7) berichtet, wurde ein Krallenäffchen (vermutlich der Gattung
Saguinus) aus Brasilien kurz vor 1563 lebend nach Antwerpen gebracht und um 50 Kronen verkauft.
Bei der Ähnlichkeit der beiden gezeigten Bilder ist klar, daß eine enge Abhängigkeit besteht: Bei Hoefnagel sind die Ohren höher und weiter hinten
angesetzt, der Brustkorb ist mehr nach vorne gewölbt und der Schwanzansatz, auf dem der Kuati bei de Boodt zu sitzen scheint, ist nach hinten
versetzt. Alle diese Unterschiede scheinen dafür zu sprechen, daß das Bild von de Boodt die Vorlage war, nach der Hoefnagel kopierte. Für eine
endgültige Beurteilung ist jedoch besseres Bildmaterial notwendig, zumindestens für das Bild von de Boodt.
Das zum Kauen der Nahrung ungeeignete Maul ist wahrscheinlich zahnlos und beherbergt nur eine lange klebrige runde Zunge, mit der der Kuati die
Ameisen aufsammelt. Sie werden dann geschluckt und erst von dem massiven Magen zerrieben. Diese Anpassungen sind allen spezialisierten
Ameisenfressern - Ameisenbären (Fam. Myrmecophagidae), Erdferkel (Orycteropus afer) und Schuppentiere (Fam.
Manidae) - gemeinsam, doch besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß dies kein Hinweis auf eine gemeinsame Abstammung ist.
Folgende Merkmale lassen sich auf der Abbildung erkennen: das Kopffell ist vom Gesicht deutlich abgesetzt, der Brustkorb ist mächtig, die Taille
sehr schmal, der Schwanz dünn. Ob sich die Nasenöffnungen seitlich an der Schnauze, knapp vor den Augen befinden, oder ob sie sich an der
Spitze der Schnauze befinden, ist nicht mit Sicherheit zu erkennen. Nimmt man die Schnauze mit 32,5 cm als Maßstab, so können (bei allen
Vorbehalten) folgende Maße aus der Abbildung geschätzt werden: Schulterhöhe 79 cm, Kopf-Rumpf-Länge 154 cm und Schwanzlänge 32 cm.
Bemerkenswert ist schließlich der Totstellreflex des Kuati. Systematisch gesehen gehört er, sofern man seine Existenz anerkennt, ohne Zweifel einer
eigenen, neuen Gattung der Primaten an. Ob diese den Cebidae, oder einer neu zu definierenden Familie zugeordnet werden soll, muß eine
Diskussion mit Fachleuten ergeben.
Zusammenfassung